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Größer könnte der Kontrast kaum sein: noch vor einem Jahr lebte der 14-jährige Eyad mit seiner Familie in der syrischen Hafenstadt Latakia, jetzt sitzt er bei seinen Pflegeeltern May und Holger Reimann am Esstisch und erzählt mit Blick in den blühenden Garten und auf die grünen Pferdeweiden von seinem neuen Leben in Oberneuland. 

Im Oktober kam er in Bremen an, als so genannter MuF, minderjähriger unbegleiteter Flüchtling. Eyad hatte in mehrfacher Hinsicht Glück im Unglück. Er überlebte die Überfahrt mit einem Schlauchboot dem kurz vor der Insel Samos die Luft ausging, weil er schwimmen kann, und er schaffte es über Serbien und Österreich mit dem Zug bis nach Bremen, wo er durch PIB (Pflegekinder in Bremen) schnell in eine Familie vermittelt wurde. 

Das Ehepaar May und Holger Reimann lebt im besonders grünen Teil von Oberneuland, direkt am Deich, zusammen mit 50 Pferden, einem Hund, Katzen und Hühnern auf einem Hof, zu dem 16 Hektar Weiden gehören. Sie sind erfahrene Pflegeeltern, die bereits mehrere Kinder aus Bremen durch Pubertät und Schule gebracht haben und auch bereits einem Pflegekind aus Westafrika ein Heim gegeben haben. Seit Ende Januar wohnt Eyad bei ihnen und erstaunt seine Pflegeeltern mit seiner schnellen Auffassungsgabe. „Eyad spricht schon richtig gut deutsch“, berichtet May Reimann und erzählt, dass sie und ihr Mann von Anfang an nur Deutsch mit Eyad gesprochen haben. „Wenn er etwas nicht versteht, dann umschreiben wir es irgendwie“, schmunzelt sie. Ein arabisches Wörterbuch kommt nur ganz selten zum Einsatz. 

Dass Eyad so schnell lernt, habe er auch den engagierten Lehrern an der Wilhelm Focke Oberschule in Horn zu verdanken, die er seit Februar besucht, erzählt Pflegevater Holger Reimann. Der junge aus Syrien nimmt hier an einem so genannten Vorkurs teil, der die Schüler sprachlich auf den normalen Unterricht in einer Regelklasse vorbereiten soll. Im Idealfall gibt es einen gleitenden Übergang, so wie in Eyads Fall, der bereits in den meisten Fächern in normalen 7. Klasse teilnimmt und nur noch ein bis zwei Stunden am Tag den Vorkurs besucht. Nach den Sommerferien steht die Versetzung in die nächste Klasse an. Doch nicht nur die neue Sprache ist eine Hürde, auch in den anderen Fächern muss Eyad viel Lernstoff nachholen, weil in seinem Heimatort zuletzt nur noch unregelmäßig für wenige Stunden Unterricht stattfand.

Der Tagesablauf in der Pflegefamilie ist schon gut eingespielt: nach dem gemeinsamen Frühstück fährt Eyad die etwa sechs Kilometer mit dem Fahrrad zur Schule, Vater Holger fährt ins Büro und Mutter May kümmert sich um Haus und Hof. Nach dem Unterricht spielt Eyad meist noch Fußball mit Freunden auf dem Bolzplatz oder im Verein. Abends wird gekocht und zusammen gegessen. „Zum Glück ist das Essen kein Problem, Eyad isst zum Glück so gut wie alles – außer Spargel“, sagt May Reimann. „Und Schweinefleisch gibt es bei uns ohnehin sehr selten“, ergänzt ihr Mann. Auf gemeinsame Mahlzeiten legen die Pflegeeltern großen Wert, denn dabei können sie den Tag besprechen, wichtige Dinge klären und Eyad lernt die Sprache noch besser kennen. 

Nach Abendessen und Hausaufgaben hat Eyad Zeit fürs Internet, er hält Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern in Syrien und auch zu anderen Flüchtlingskindern, die er aus der Wohngruppe, in der zunächst in Bremen untergebracht war, kennt. 

Das Ehepaar Reimann hatte auch schon Kontakt zu Eyads Familie, die sehr froh ist, dass Eyad eine sichere Unterkunft gefunden hat und in der Schule fleißig ist. „Es ist sehr wichtig, dass die leiblichen Eltern die Unterbringung in einer Pflegefamilie unterstützen“, erklärt Holger Reimann, sei das nicht der Fall könne es leicht passieren, dass die Kinder das Gefühl haben, ihre Herkunft und Familie zu verraten und förmlich zerrissen sind zwischen den Erwartungen, die die Herkunftsfamilie einerseits und die Pflegefamilie und das Leben in einem fremden Land andererseits, an sie stellen. „Solche Probleme haben wir mit Eyad nicht.“ Das versteht Eyad und lächelt, denn bei allem Lerneifer, kann er nach wenigen Monaten in Deutschland noch keinem Gespräch über komplexere Themen folgen, aber wenn weiterhin alles so gut läuft, wie im Augenblick, wird das wohl nicht mehr lange dauern, da sind sich Lehrer und Pflegeeltern einig.

Voraussetzung für die Unterbringung in einer Pflegefamilie ist, dass die Kinder das überhaupt wollen. Viele, meist bereits ältere Jugendlich haben ganz andere Vorstellungen von ihrem Leben in Deutschland. Dass es nicht nur in Bremen gravierende Probleme mit einer kleinen Anzahl minderjähriger unbegleiteter Ausländer gibt, ist den Reimanns wohl bewusst. Doch sie haben eine sehr differenzierte Sicht darauf. „Wenn Kinder sich über Monate und in manchen Fällen Jahre allein durchschlagen und auf der Straße gelebt haben, dann fällt es ihnen natürlich schwer, sich in eine Gemeinschaft oder Familie zu integrieren und sich plötzlich an Regeln zu halten“, sagt May Reimann. „Da kann man keinen Schalter umlegen!“ Aber Eyad sei da ganz anders, sie wüssten immer, wo er gerade ist und können sich darauf verlassen, dass er zum verabredeten Zeitpunkt nachhause kommt. 

Die Geschichten der Flüchtlingskinder, ihre individuellen Erfahrungen und ihre Herkunft sind so unterschiedlich, dass es unsinnig wäre, sie in ein einheitliches Hilfessystem zu stecken. Bei PIB (Pflegekinder in Bremen), der gemeinnützigen GmbH, die in Bremen sowohl einheimische als auch geflüchtete Pflegekinder vermittelt, wird deshalb sehr darauf geachtet, dass die Voraussetzungen, die die Kinder und Jugendlichen mitbringen und die Möglichkeiten der Pflegeeltern zusammenpassen. Wer ein Pflegekind im Rahmen des Programmes „Kinder im Exil“ aufnehmen möchte, durchläuft eine gesetzlich geregelte Qualifizierung in der Pflegeelternschule. Das umfasst einen Grundkurs, ein Einzelgespräch, einen Aufbaukurs und verschiedene Wahlpflichtmodule. Während des Pflegeverhältnisses gibt es konkrete Unterstützung bei auftauchenden Problemen oder Fragen. Anders als bei Säuglingen oder Kleinkindern sind bei den meist schon älteren Kindern aus Kriegs- und Krisengebieten auch ältere Paare oder Einzelpersonen mit einem stabilen sozialen Umfeld als Pflegeltern hochwillkommen.

Eyad hat außer seinen neuen Pflegeeltern auch einen amtlichen Vormund, der sich zum Beispiel darum kümmert, einen Asylantrag zu stellen. Wenn der Junge aus Syrien volljährig wird, kann er selbst entscheiden, wie es weitergeht. „Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass er dann weiter in der Familie bleibt, bis er einen Schulabschluss und ein Studium oder eine Ausbildung abgeschlossen hat, das kann er wenn es soweit ist beantragen“, sagt Vater Reimann, die deutschen Pflegekinder seien auch bis zum Ende der Ausbildung geblieben. 

Aber daran denkt Eyad jetzt noch nicht. Für ihn stehen Deutschlernen, Schule und Fußballspielen im Moment im Vordergrund, genau wie bei fast allen anderen 14-jährigen Jungen in Bremen.

 

Das Bremer Startup Rightmart will die Anwaltsbranche umkrempeln und das Recht demokratisieren

Wenn sich alles so entwickelt, wie Rightmart- Mitgründer Marco Klock es sich vorstellt, wird in einigen Jahren der Weg zum Rechtsanwalt nicht mehr in eine Kanzlei herkömmlicher Art führen sondern ins Internet. Kostengünstig, effizient, mit hoher Qualität und in Echtzeit. Das heißt: sobald der Mandant den Sachverhalt anhand eines Fragenkatalogs online eingegeben hat, steht für die Anwälte von Rightmart bereits der fertige, computergenerierte Schriftsatz zur Überprüfung und Weitergabe bereit. Der Mandant bekommt eine direkte Einschätzung, wie hoch sein etwaiger Anspruch ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit er sich durchsetzen lässt und gegebenenfalls welche Kosten entstehen.

Doch bevor der Computer einen großen Teil der Anwaltsarbeit übernehmen kann, stecken die insgesamt 13 festangestellten Rightmart-Mitarbeiter viele Arbeitsstunden in die komplexe Software. 

Los ging es im Frühjahr 2016 mit der Überprüfung von Hartz IV-Bescheiden und den dazugehörigen Widersprüchen, wenn tatsächlich etwas falsch berechnet war. Für die Mandanten entstehen keine Kosten, denn die Kanzlei berechnet im Erfolgsfall dem Jobcenter ihre Honorare. Die Erfolgsquote von über 40 Prozent kann sich sehen lassen.

Die Grundidee hinter Rightmart ist es, alle sich wiederholenden Routineaufgaben vom Computer erledigen zu lassen, damit die Rechtsanwälte die Zeit, die sie so gewinnen den Mandanten widmen können. „Unser Servicelevel ist verglichen mit einer normalen Kanzlei deutlich höher, wir sind per Mail, im Chat oder auch auf Facebook für unsere Mandanten erreichbar“, sagt Klock. „Außerdem arbeiten absolute Experten beim Erstellen der Software mit. So erreichen wir eine außerordentlich hohe Qualität, die wir jederzeit reproduzieren können.“ Die Software fährt nicht in den Urlaub, ist nie krank oder verhindert und übergibt den Fall nicht an einen weniger erfahrenen Kollegen. 

Dass Rightmart ausgerechnet mit der Überprüfung von Hartz IV-Bescheiden gestartet ist, sei Zufall. „Wir dachten, das ist ein übersichtliches Rechtsgebiet, aber im Prinzip können wir unser System auf jedes Rechtsgebiet übertragen“, berichtet Marco Klock selbstbewusst. 

Die Junge Firma residiert in der Bremer Neustadt in einem ehemaligen Modehaus, das eindeutig schon bessere Tage gesehen hat. Wände und Fußböden verströmen das Originalflair der 70er- oder 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Das Bremer Äquivalent zu Steve Jobs Garage in Kalifornien: In jedem Raum verlaufen wilde Ansammlungen von Kabeln und verschwinden hinter provisorischen Stellwänden, die Arbeitsnischen in einem großen, innenliegenden Raum abtrennen. Die Büroausstattung stammt hier eindeutig nicht von den angesagten Designern. Auch mit alten Euro-Paletten wird improvisiert. Denn wenn die Mandanten im heimischen Wohnzimmer am Rechner sitzen, ist das repräsentative Büro überflüssig. In den Büros mit Aussicht arbeiten vier Rechtsanwälte und vier Softwareentwickler daran, dem Computer die Juristerei beizubringen. Die Geschäftsführung teilen die beiden jungen Gründer Marco Klock und Philipp Harsleben sich mit den erfahrenen Rechtsanwälten Jan Strasmann und Dr. Philipp Hammerich, die die Internetmandanten wenn es zu einer Verhandlung kommt, auch vor Gericht vertreten, ganz konventionell mit Schlips, Anzug und Robe. 

Auf die Idee Rightmart zu gründen, kamen Marco Klock und Philipp Harsleben während des Jurastudiums. Sie wollten nach ihrem Abschluss nicht als Junganwälte in einer großen Kanzlei anfangen und dort langweilige aber dafür umso arbeitsintensivere Routinefälle bearbeiten. Die Alternative eine normale Kanzlei zu eröffnen, kam ebenfalls nicht in Betracht, denn die enorme Zahl an Kanzleien in Deutschland macht es schwer, auf diese Art profitabel zu arbeiten. Da beide technikaffin sind, ergab sich der Ausweg mit Rightmart wie von selbst. 

Eigentlich eine naheliegende Idee. Marco Klock ist selbst ein wenig überrascht, wie wenig Computer und Software bisher den Alltag in Kanzleien bestimmen. „Viele arbeiten noch fast genauso wie vor hundert Jahren, nur dass sie keine Schreibmaschinen mehr benutzen“, schmunzelt er. Nahezu alle anderen Branchen und Berufe hätten sich in den vergangenen Jahren durch die Technik stark verändert, die Beharrungskräfte von Juristen seien jedoch enorm groß. Auch was das Berufsrecht und das Jurastudium betrifft. Aber er ist zuversichtlich, dass sich in Zukunft einiges ändern wird und wirbt in Vorträgen an Universitäten für die Einführung des Bachelors of Law, denn für viele Jobprofile in modernen, hochtechnisierten Kanzleien wie Rightmart sind 1. Und 2. Staatsexamen, wie bisher im Jurastudium vorgesehen, gar nicht nötig. 

Auch kleine Kanzleien mit einem oder zwei Rechtsanwälten, die sich immer wieder in unterschiedliche Rechtsgebiete einarbeiten müssen, werden die Konkurrenz aus dem Internet künftig spüren. Sie können zwangsläufig nicht so effizient arbeiten, wie ein Computer. „Die werden Probleme bekommen“, ist sich Klock sicher und hat schon das nächste vielversprechende Geschäftsmodell in petto. „Es wäre ohne weiteres machbar, anderen Kanzleien, egal ob groß oder klein, unsere Software in Lizenz zur Verfügung zu stellen.“ Doch im Augenblick steht für ihn im Vordergrund, weitere Rechtsbereiche für Rightmart zu erschließen. Über die Internetseite www.rightmart.de können aktuell neben diversen Bescheiden der Jobcenter, Hartz IV-Bescheide und Fluggastentschädigungen geprüft werden. Demnächst soll auch die Abwehr von Abmahnungen und Bußgeldbescheiden im Verkehrsrecht online gehen. Bei Rightmart wird enorm viel Arbeitskraft in die Automatisierung gesteckt und das lohnt sich durchaus auch finanziell: Bisher hat Rightmart 2800 Mandanten betreut, bis Jahresende werden es um die 5000 sein.  „Wir rechnen bis dahin mit einem Umsatz von 1 Mio. Euro – ohne dass die Mandanten auch nur einen Cent zahlen mussten“, sagt Klock. 

Bei aller Begeisterung für das besondere Geschäftsmodell steht bei Rightmart jedoch immer der Mandant im Vordergrund, wie Marco Klock versichert. „Wir wollen qualitativ hochwertige Rechtsvertretung und Beratung für jeden zugänglich und erschwinglich machen. Und wir wollen den Service und die Betreuung der Mandanten verbessern.“ Dazu soll ab dem kommenden Jahr der komplette Vorgang für den Mandanten transparent werden. Ähnlich wie bei der elektronischen Paketverfolgung wird der Mandant, sobald er sich eingeloggt hat, sehen können, was in seinem Fall gerade passiert und falls nötig darauf reagieren. 

Schon jetzt zeigen die vielen positiven Kommentare von Rightmart-Mandanten im Internet, dass das Start-up aus Bremen einiges richtig macht. Vor allem die Schnelligkeit und der freundliche Service werden gelobt. 

Und eines möchte der Legal-Tec-Gründer am Ende noch betonen: „Auch wenn wir fast ausschließlich über das Internet und auf eine heute noch etwas unkonventionelle Art arbeiten, darf man nicht vergessen, dass Rightmart eine vollwertige Anwaltskanzlei ist!“ 

Corporate Publishing

Braun und träge teilt sich das Wasser vor dem Bug der „MS Magdalene“. Die Landschaft am Ufer zieht neben dem Binnenschiff langsam vorüber. Schiffseigner und Kapitän Norbert Sasse sitzt in seinem bequemen Führerstand und steuert das 80 Meter lange Schiff Richtung Nordsee. Sein Ziel ist Nordenham, dort soll er Kohle laden und nach Bremen zum Kraftwerk Hastedt bringen.

Sasse lächelt. „Beim Fahren kann man wunderbar nachdenken und vom Alltagstrubel abschalten.“ Nur das Ablegen, Schleusen und Anlegen seien heikle Momente während der Fahrt.

Seit fünf Jahren fährt er mit der „Magdalene“ zwischen Bremen und Nordenham hin und her. Zusammen mit seinem Neffen, der die „MS Panther“ fährt, sorgt er für den Kohlennachschub in Haststedt. „Früher bin ich mit meiner Familie auf dem Schiff gewesen, da sind wir bis Basel und auch nach Frankreich gefahren“, erzählt Sasse nur wenig wehmütig.

Das Schiff ist auch heute noch voll ausgestattet. Es gibt eine gemütlich eingerichtete Küche mit Sitzecke und allerlei Komfort – von der Geschirrspülmaschine bis zur Klimaanlage. Durch einen kleinen Flur gelangt man ins erstaunlich geräumige Wohnzimmer mit Couchgarnitur und Schrankwand. Davon geht ein kleines Schlafzimmer ab. Und dann sind da noch ein kleines Kinderzimmer und ein voll ausgestattetes Badezimmer mit Badewanne. „Na, wenn man hier richtig leben will, dann muss das schon vernünftig sein“, sagt Norbert Sasse und grinst. Trotzdem wohnt er heute an Land.

„Am Anfang war es komisch, aus dem Fenster zu gucken und immer dasselbe zu sehen“, erzählt der Binnenschiffer, währender den Führerstand hydraulisch herunterfährt, damit das Schiff unter der Weserbrücke durchpasst. Die Sonne scheint, das Wasser gleitet glitzernd am Schiffsrumpf vorbei. An der Schlachte sitzen die Menschen im Biergarten und genießen den Tag. Das tut Norbert Sasse auch.

„Im Winter bei minus zehn Grad oder bei Sturm macht das natürlich nicht so viel Spaß“, erzählt er, während die Schlachte längst hinter ihm liegt und die Hafenanlagen der Stadt in Sicht kommen. Dass eine Tour wegen des Wetters ausfallen muss, kommt so gut wie nie vor. Die „Magdalene“ ist mit einem Radar ausgestattet, das sogar Nachtfahrten erlaubt und jedem Nebel den Schrecken nimmt. „Wir fahren eigentlich immer“, sagt Sasse, nur wenn der Wind mit mehr als Stärke elf bläst, muss er an Land bleiben, weil das Wenden in Nordenham dann unmöglich wird.

Aber auch bei Sonnenschein und ruhigem Fahrwasser kommt bei ihm keinen Langeweile auf. „Auf dem Wasser ist immer was los“, sagt Sasse, „im Sommer sind viele Sportboote unterwegs, im Winter fast nur die Kollegen.“ Man kennt sich eben.

Hinter der Eisenbahnbrücke wird die Weser zur Seewasserstraße. Hier muss sich der Binnenschiffer bei der Radarkontrolle anmelden. Reine Routine. „Das ist ganz ähnlich wie beim Flughafen“, erzählt er.

Die Männer in der Kontrollstation behalten alles, was von nun an passiert, per Radar im Auge und schneiden den Funkverkehr mit. Falls es zu einem Zusammenstoß oder zu einem anderen Zwischenfall kommt, kann so später auch geklärt werden, wer daran schuld war.

Es geht vorbei an Bremen-Nord, den Luxusyachten auf der Lürssen-Werft und die Gegend wird einsamer. „Wenn hier irgendwo ein Haus gebaut wird, sehe ich, wie es langsam wächst und dann eines Tages fertig ist.“ Sasse lächelt. „Und hier“, er deutet auf das rechte Ufer in Höhe Vegesack, „da sehe ich fast jeden Tag den gleichen Mann joggen, seit Jahren. Mittlerweile winken wir uns sogar zu.“ Das sei ein bisschen wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, in dem die Hauptperson immer wieder denselben Tag erlebt. Aber Sasse stört das nicht. Er mag die verlässlichen Wiederholungen. Es geht an Brake vorbei, an Esensham und nach gut vier Stunden kommen die riesigen Kohleberge von Nordenham in Sicht. Nach dem Wendemanöver vertäut Sasse die „Magdalene“ an der Spundwand und wartet darauf, dass eine gigantische Kranbrücke 1.100 Tonnen Kohle in den Bauch seines Schiffes verfrachtet. „In der Zeit gucke ich meistens fern oder lese ein Buch, das ist eigentlich langweilig.“

Nach einer Stunde ist das Schiff voll und Sasse startet wieder Richtung Bremen. Er muss sich beeilen, denn er will das auflaufende Wasser ausnutzen und „mitschwimmen“. „Das spart natürlich `ne Menge Diesel, wenn wir uns nach den Tiden richten und bei ablaufend Wasser stromabwärts fahren und bei auflaufendem Wasser wieder hoch“, erklärt Sasse.

Es ist dunkel geworden und das Führerhaus wird nur noch vom grünen Licht des Radargeräts erhellt. Von der Fahrtrinne oder den Ufern ist nichts mehr zu sehen. „Man muss den Fluss schon genau kennen, wenn man nachts fährt, auch mit Radar“, sagt Sasse und lehnt sich in seinem Fahrerstuhl zurück. Jetzt kann er seinen Gedanken freien Lauf lassen. Um diese Zeit sind auch keine Sportboote mehr unterwegs, die plötzlich und völlig unberechenbar die Richtung ändern könnten. Kurz vor dem Ziel am Anleger des Kraftwerks Hastedt wird es noch einmal spannend.

Die „Magdalene“ muss in die Schleuse am Weserwehr. Das Schiff ist 80 Meter lang und 8,20 Meter breit, viel Platz für Fahrfehler bleibt da nicht. „Wenn man das ständig macht, ist es ganz einfach“, sagt Sasse, „aber wenn ich mal ein paar Wochen in Urlaub war und aus der Übung bin, wird es knifflig.“ Trotzdem, passiert ist noch nie etwas. Zum Glück, denn die Außenwände des Binnenschiffs sind nur einen Zentimeter stark.

In nur wenigen Minuten hebt die Schleuse die „Magdalene“ auf das Niveau der Oberweser und die Tore öffnen sich. Von hier aus sind es nur noch wenige Meter bis zum Anleger. „Morgen früh wird ausgeladen, das dauert etwa vier Stunden und dann geht es wieder von vorne los“, erzählt Kapitän Sasse, klettert von Bord und fährt in sein Heim auf festem Grund.

Am nächsten Morgen um sieben macht sich swb-Mitarbeiter Andreas Müller mit einem Kran ans Werk und holt Schaufel für Schaufel Kohle aus dem Bauch der „Magdalene“. „Am Anfang ist es einfach, aber nachher den Rest rauszukriegen, da haben wir einen Trick“, schmunzelt er und lässt die Kohle in einen Trichter fallen, von wo aus sie über ein Förderband in die großen Kohlesilos fährt. Als die „Magdalene“ dann fast leer ist, kommt Müllers Kollege Friedhelm Kopmann mit einem kleinen Bobcat-Schaufelbagger angefahren, das Gefährt wird kurzerhand in den Rumpf des Schiffs gehoben. „Ich kratze jetzt die Reste aus, der große Kran kommt ja nicht überall hin“, sagt er und legt los.

Als die „Magdalene“ nach vier Stunden leer ist, steht auch Kapitän Sasse wieder vor seinem schwimmenden Arbeitsgerät. „Na, dann kann es ja wieder losgehen“, freut er sich schon auf seine nächste Tour nach Nordenham.

 

Sonstiges

Viele wollen im Kasino reich werden. Wenigen gelang es, Einige versuchen es immer noch

Die Bremer Spielbank hat nichts mit dem gängigen Klischee, geprägt durch die Casinoszenen in James-Bond-Filmen, gemein.
Die Spieltische sind nicht von atemberaubenden, juwelenbehängten Schönheiten in durchsichtigen Abendkleidern umlagert. Die Realität ist ernüchternd. Rentner im Freizeitanzug verjubeln das Erbe ihrer Kinder und die versammelte Halbwelt legt Schwarzgeld, mehr oder weniger, gewinnbringend an.
Hans E. Lohmann lehnt an der Bar und nippt an einem Saftglas. Während der Arbeit trinkt er keinen Alkohol. Auf Wein steigt er erst um, wenn das Spiel zu Ende ist. Meistens hat er zwischen dreißig- und fünfzigtausend Mark in der Tasche, wenn er in die Spielbank kommt.
Das Ambiente versetzt unweigerlich zurück in die 70er Jahre. Die Wände und der Fußboden sind mit dunkelrotem Velours bespannt. Die Decken sind verspiegelt. Selbstverständlich aber nur dort, wo nicht mit Karten gespielt wird. Alles in allem eine ideale Kulisse für einen Tarantino Film.
Hans ist ein kleiner, untersetzter Mann. Selbst der Armani-Anzug hängt unförmig an ihm herunter und kann nicht über den etwas ungepflegten Eindruck, den er mit seinem ausgefransten, graumellierten Vollbart und dem fettigen, schulterlangen Haar vermittelt, hinwegtäuschen.
Er ist letztes Jahr fünfzig geworden. Im Bremer Spielcasino kennt ihn jeder. Hans ist ein ruhiger, angenehmer Gast. Mit Fremden spricht er nicht. Mit den anderen Spielern erst recht nicht, die verachtet er. Das sind Zocker. Mit denen möchte er sich nicht auf eine Stufe gestellt wissen. Er hat kein Geld zu verspielen, ins Casino kommt er, um Geld zu verdienen und Verluste auszugleichen. „Das ist harte Arbeit, kein Vergnügen.“
Hans muß dringend Geld verdienen, die Sparkasse sitz ihm im Nacken. Im wahren Leben ist er Künstler. Und seine aufwendigen Multi-Media Projekte verschlingen weit mehr Geld, als sie einbringen. Daher resultieren seine Schulden, nicht vom Spielen, wie er betont. Seine wässrig blauen, von dunklen Ringen umgebenen Augen hängen an der digitalen Anzeige über dem Roulettetisch. Dort werden die Gewinnzahlen der letzten Spieldurchgänge angezeigt. Ihn interessiert nur, ob sie gelb oder rot leuchten, Synonyme für rot oder schwarz. Hans setzt nie auf eine einzelne Zahl, immer nur auf Farbe. Das ist feste Regel und Bestandteil seines Systems.

„Rien ne va plus…“ – nichts geht mehr!

Die kleine Kunststoffkugel saust am oberen Rand des Roulettekessels entlang. Gegenläufig zur Drehung der Scheibe auf der die einzelnen Zahlenkästchen angeordnet sind. In der gespannten Stille sind nur das Laufgeräusch der Kugel und das Sirren der Drehscheibenachse zu hören.

Glaubt man der Statistik und den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, gewinnt die Bank immer. Dafür sprechen auch die Jahresumsätze der Casinos. Letztes Jahr hat die Spielbank Bremen, das kleinste Casino, immerhin noch 36 Millionen Mark umgesetzt.
Selbst wenn der Spieler auf rot/schwarz oder gerade/ungerade setzt, stehen die Chancen für den Casinobetreiber besser. 51,4% zu 48,6%. Die Bank gewinnt nämlich auch, wenn die Null fällt, der keine Farbe zugeordnet ist und die weder als gerade, noch als ungerade gilt. Eins zu Null für die Spielbank.
Hans geht an den Roulettetisch, die Arbeit ruft. Sein System ist denkbar einfach. Er geht davon aus, daß die Chance richtig zu liegen, wenn er auf schwarz oder rot setzt, 50% ist. „Null kommt so selten, das kann man getrost vernachlässigen.“ Nur ein scheinbarer Widerspruch. Theorie und Praxis liegen beim Zufallsexperiment Roulette mitunter weit auseinander. Er setzt hundert Mark auf das Feld mit der schwarzen Raute. Die Kugel bleibt auf 29 schwarz liegen. Macht zweihundert für Hans. Er läßt den Einsatz stehen. Rot. Seine Zweihundert wandern, vom gnadenlosen Croupierrechen befördert, in die Bank.
Um den Verlust auszugleichen, muß er nun mehr als zweihundert setzen. Er setzt dreihundert auf schwarz und gewinnt. Der Croupier schiebt ihm Jetons im Wert von 600 Mark zu. Dreihundert Einsatz zurück, die zweihundert Verlust ausgeglichen und Hundert gewonnen. So einfach geht’s.

„Wenn alle nach diesem System spielen würden, könnten die Casinos dichtmachen!“ schmunzelt er, zündet sich eine neue Zigarette direkt an der Alten an und setzt auf rot. 1000 Mark. Der große Jeton funkelt im Halogenlicht. Der Abend fängt gut an für Hans.

Die Roulettescheibe wird langsamer. Die Eigenbewegung der Kugel läßt nach. Sie weicht von ihrer Kreisbahn ab und nähert sich in elliptischen Kreise den einzelnen Zahlenkästchen. Die Kugel rumpelt mit leisem Klickern  über die Begrenzungen der Kästchen. Sechs schwarz. Die Scheibe dreht sich noch ein paar Runden und kommt dann zögernd zum Stillstand.
Auf dem Setzfeld liegt kein Jeton, die Bank hat gewonnen. Der Rechen des Croupiers gleitet schnell und geschickt über den grünen Filz und räumt die verlorenen Jetons ab.
Hans hebt gleichgültig die schmalen Schultern. Ein schneller Blick auf die Anzeigetafel mit den letzten Gewinnzahlen widerlegt eindrucksvoll jede Wahrscheinlichkeit. Heute Abend regiert das Gesetz der Serie. Fünfmal hintereinander rot, dann achtmal schwarz. Das ist weit jenseits jeder Normalverteilung. Irgendwann muß auch eine Serie zu Ende sein. Mit Hans‘ Einsätzen steigt auch die Zahl der Schaulustigen rund um den Tisch. Als er setzt, stehen sie in Dreierreihen und halten den Atem an. Hans zieht nervös an seiner Zigarette. Das einzige Zeichen von Anspannung. Sonst wirkt er äußerlich vollkommen gelassen. „Mann muß nur genug Geld dabeihaben, um eine Serie, die gegen einen läuft, durchstehen zu können. Öfter als sechs-, siebenmal hintereinander dieselbe Farbe, – das passiert nie!“

Aber es passiert doch. Denn erst wenn die Anzahl der Versuche gegen unendlich geht, nähert sich das Ergebnis dem Erwarteten. Dieser Sachverhalt wird als das Gesetz der großen Zahlen bezeichnet. Nach zwei Stunden hat Hans einen Reingewinn von 500 Mark gemacht, sein Hemd ist durchgeschwitzt. „250 Mark Stundenlohn, das ist doch gar nicht schlecht. Wo verdient man das sonst schon?“
Allerdings lag sein Einsatz zwischenzeitlich auch nah am Tischlimit von 14.000 Mark. Erreicht er das, ist sein System ausgehebelt. Dann kann er den Verlust nicht mehr ausgleichen. Ihm ist ein Tisch ohne Limit am liebsten, aber den gibt es in den wenigsten Spielbanken. Und das nicht ohne Grund, denn Hans einfaches System ist auch den Casinobetreibern bekannt. Mit diesem System und genug Geld in der Tasche, ist schon so manche Bank geknackt worden. Kann die Bank nicht mehr zahlen, wird der Tisch geschlossen und der Spieler hat gewonnen, unwiderruflich. Doch bei Setzlimits von zehn- bis zwanzigtausend Mark schließt das Casino auch dieses Risiko aus. Zwei zu Null für die Spielbank.
Hans macht Feierabend und gibt sich mit 500 Mark Gewinn zufrieden. Reich wird er dabei nicht, aber unter dem Strich, so versichert er bei einem Glas Wein an der Bar, nimmt er mehr Geld mit, als er in der Spielbank läßt. Und das ist gut so, denn auch Lebens-Künstler müssen Rechnungen und Zinsen zahlen.

„faites votre jeu, s‘il vous plait“- machen Sie Ihr Spiel, bitte.